Rhythmus ist angewandte Mathematik und ein Schlüssel zu jenem ganzheitlichen Verstehen, das über ein bloß mentales Verständnis hinausgeht. Rhythmus regt zutiefst unsere inneren feinmotorischen Strukturen an und stellt in dem komplizierten Geflecht unserer ebenfalls rhythmischen Körperstrukturen Gleichgewicht her.

Das einfachste rhythmische Prinzip in der Musik ist der Zweiertakt, der mit der Rhythmik des Gehens verbunden ist. Die Betonung auf der Zählzeit Eins bekräftigt den eigenen Standpunkt und erzeugt so etwas wie eine rhythmische Erdung. Weil er sich für den Gleichschritt einer Gruppe eignet, wird der Zweiertakt gern für „Marschmusik“ verwendet.

Das andere der beiden rhythmischen Grundmuster, aus deren Kombinationen alle weiteren Rhythmusformen entstehen, ist der Dreiertakt. Während die moderne westliche Musik zumeist vom Vier-Viertel-Takt getragen ist, entstanden in anderen Musikkulturen wesentlich komplexere metrische Systeme, die aus Kombinationen der 2- und 3-schlägigen Grundrhythmen (und deren Vervielfachungen) bestehen. Die Taktart wird in Form eines Bruches mit Zähler und Nenner benannt.

Der Nenner bezeichnet den Notenwert einer Zählzeit. Der Zähler gibt die Anzahl der Zählzeiten pro Takt an.

Durch unterschiedliche Betonung der Zählzeiten eines Taktes entstehen neue rhythmische Wirkungen und Charaktere. Diese differenzierte Wichtung der Impulse im Taktraum entfaltet in den beiden Elementen „schwer“ und „leicht“ (betont und unbetont) zwei neue rhythmische Kräfte, die je nach ihrer Schwerpunktsetzung unterschiedlich „grooven“.

Zum Beispiel lässt sich ein 4/4-Takt „schwer – leicht – leicht – leicht“ akzentuieren, oder die Betonung wie beim Reggae auf die dritte Zählzeit des Taktes legen. Über die 16 verschiedenen Möglichkeiten der Betonung beim 4/4-Takt schaffen weitere Differenzierungen („halbschwer – ganz leicht“) eine entsprechend größere Variationsvielfalt.

Die heutige populäre Musik basiert fast ausschließlich auf dem 4/4 Takt und kann deshalb eine „4er Rhythmuskultur“ genannt werden. Bereits der 3er Rhythmus kommt heutzutage den „standardisierten“ Hörgewohnheiten ungewohnt vor. Ungerade Taktarten wie 5er, 7er, 9er, 11er…, werden als überliefertes Kulturgut fast nur noch in der ethnischen Volksmusik gepflegt, die in diesen Rhythmen ein Stück ihrer kulturellen Identität bewahrt haben.

Auch hier gilt, was bereits über die Dominanz des westlichen 12-Tonsystems gegenüber den komplexeren Tonsystemen anderer Kulturen gesagt wurde:

Die Macht der „westlichen“ Film-, Fernseh- und Rundfunk-Medien beherrscht die Hörgewohnheiten und blendet die wesentlich differenzierteren Rhythmusstrukturen von weniger populären Kulturen weitgehend aus.

Die zunehmende Verarmung der einstigen Rhythmusvielfalt durch die alle kulturellen Unterschiede nivellierende Medienmacht ist ein Verlust für die Weltkultur.

Doch solange es Musiker gibt, denen das Spiel mit diesen komplexeren Rhythmen künstlerische Herausforderung und Ausdruck eines Lebensgefühls ist, das sich nicht in stereotype Formen pressen lassen will, tanzt man in Griechenland oder Bulgarien den 7er – spielt in Zentralasien den 9/8tel – und übt sich wie in der balinesischen Gamelanmusik – oder der klassischen indischen und chinesischen Musik im Umgang mit jahrtausende gewachsenen rhythmischen Strukturen, die zugleich tiefschürfendes Wissen um die harmonikalen Verhältnisse des Schwingungswesen Mensch bewahren.

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