Am Bosporus, der geographischen `Brücke´ zwischen Asien und Europa, öffnet sich dem Hörer bereits die wunderbare und vielgestaltige `östliche Klangwelt´.
Das moderne türkische Musiksystem basiert auf dem Arel-Ezgi-Tonsystem, das Hüseyin Sadeddin Arel (1880-1955) und Mehmed Subhi Ezgi (1869-1962) als „Retter“ der bis dahin nur mündlich überlieferten und fast schon vergessenen türkisch-arabischen Musiktradition, als Musiktheorie begründet haben.
Demnach ist der Ton Cargah (persisch = Tschargah,) dem Grundton vergleichbar, auf den 11 Quinten und 12 Quarten zu den 24 Tonstufen der Türk Musikisi aufbauen.
Nur drei Intervalle gelten als anwendbar: Tiz Cargah (Oktave = 2/1); Rast (Quinte = 3/2); Acem Asiran (Quarte = 4/3). Innerhalb einer Oktave, die als heptatonische (7er) Skala trotz aller Unterschiede der westlichen Oktave verwandt ist, ergeben sich durch die Vierteltonteilung allerdings 24 Stufen. Denn während in der westlichen Musik nur ganze und halbe Tonschritte üblich sind, zeichnet die türkisch-orientalische Musik sich durch die Einbeziehung von Vierteltonschritten aus. Darin liegt vielleicht der Reichtum an ornamentaler Melodik der türkisch-arabischen Musik begründet, die sich in formelhaften Strukturmodellen ausdrückt, die Maqamat (singular: Maqam) genannt werden.
Im Unterschied zum westlichen Rhythmus eröffnen sich in der östlichen Musik sehr viel komplexere Rhythmen, die in periodischen Reihungen oft 48 Taktschläge mit betonten und unbetonten Taktteilen und Pausen hat. Diese Rhythmen (Usl) können aber auch mehr als 100 unterschiedlich akzentuierte Schläge zählen, deren Betonungs-Muster im Aufbau des Musikstückes variieren.
Wenngleich sich die türkisch-arabische – wie alle Musik – in stetem Wandel befindet, erhielten sich diese charakterlichen Eigenschaften über die Jahrtausende.
Die Türken betrachten sich gewissermaßen als die Erfinder dieser Musik und haben im Verlauf des osmanisch-türkischen Reiches viel zur Verbreitung dieser Musikkultur in der Welt beigetragen, (wodurch allerdings auch die Musik manch einer eroberten Kultur – wie z.B. die byzantinische – ins Vergessen sank). Tatsächlich aber sind in der türkisch-orientalischen Musik die Einflüsse ägyptischer, babylonischer, indo-persischer, und griechischer Traditionen erkennbar.
Die Erforschung des Umfangs der gegenseitigen Beeinflussung und Bereicherung der Kulturen ist ein interessantes Feld aufschlussreicher Entdeckungen.
Der Musiker Rauf Yekta Bey (1871-1935) nannte die Maqamat nicht „Türk Musikisi“, sondern „Sark Musikisi“ (= Musik des Orients).
Auch weist er darauf hin, dass die Türken die Einteilung einer Oktave zu 24 ungleichen Intervallen von den antiken Griechen übernahmen. Denn im orientalischen Tonsystem beruhen alle musik-mathematischen Berechnungen auf der Teilung des Monochords in den ganzzahligen Intervallen, wie Pythagoras sie wieder entdeckt hatte.
Auf dem Griffbrett der arabischen Laute ‘Du´ (Oud = „biegsamer Stab”) entschlüsseln sich dem Meister dieses Instruments die Mondphasen, die Himmelsrichtungen, die Jahreszeiten, die Zahl der Wochen in einem Monat, die Einteilungen des Tages, des menschlichen Körpers und seiner Lebensphasen.
Die Mutter der Saiteninstrumente allerdings soll das älteste Instrument der Türken sein, welches damals `Pi-Pa´ oder `Hypu´ hieß und später `Kopuz´ genannt wurde. Zum Erlernen dieses Instruments vermittelte der Meister dem Schüler auch das Verhalten als Musiker und der Stimmung in sich selbst: Umfang, Volumen und Timbre der Stimme des Instrumentes sollen im Einklang mit der vorherrschenden Stimmung, den geographischen, astronomischen und atmosphärischen Bedingungen, sowie den Tagen, Jahreszeiten, Elementen, Winden und Temperaturen stehen.
Der Islam hat ein zwiegespaltenes Verhältnis zur Musik. Für viele dogmatische Moslems ist sie Teufelswerk (siehe die Taliban in Afghanistan, die gleich nach ihrer Übernahme der Macht die wunderbare afghanische Musik verboten hatten, als mit deren Unterdrückung die „Zeit der Traurigkeit“ begann). Sie fürchten magische Kräfte in der Musik, die ihrer Religion entgegen wirken könnten. Essad Bey (1905-1942) schreibt in seinem Buch „Mohammed“:
„Der Prophet Mohammed missbilligte
das übermäßige Essen und Trinken ebenso
wie das Singen und verbot kategorisch
Tanzen, Musizieren, Malen und Bildhauen.“
Gegen das islamische Musikverbot wehren sich allerdings bis heute (erfolgreich) die Sufis – eine asketisch-mystische Richtung des Islam.
„Musik ruft nichts im Herzen hervor,
was nicht schon darin wäre!”
Sufi Al Darani (gest. 820)
Die Moslems der traditionellen Schule betrachten die Sufis mit Skepsis. Ihnen ist ihr Gott zu erhaben und der Mensch zu unbedeutend, als dass sie sich eine Annäherung an das höchste Wesen durch Musik denken können.
Dem entgegnet der Sufi Hazrat Inayat Khan zu Beginn des 20.Jahrhunderts:
„Die Sufi-Botschaft bringt kein neues Gesetz, sie erweckt in der Menschheit den Geist der Brüderlichkeit, welche einhergeht mit der Toleranz eines jeden gegenüber der Religion der anderen und mit der allseitigen Bereitschaft, die Fehler der anderen zu vergeben.
Sie lehrt Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme, damit ein Leben in Harmonie geschaffen und erhalten werden kann; sie lehrt auch, zu dienen und sich wahrhaftig nützlich zu machen. Dann wird unser Leben auf der Erde Früchte bringen und uns in unserer Seele zutiefst befriedigen.“
(Hazrat Inayat Khan)
Hazrat Inayat Khan wurde 1882 in Indien geboren. Sein Weltbild ist geprägt von Freundlichkeit, Toleranz und der Verehrung aller Meister, Heiligen und Propheten der Menschheit und dem Respekt gegenüber der Vielfalt der religiösen Lebensäußerungen überall auf dem Planeten Erde.
Hinter dem Ausdruck der Vielfalt unterschiedlicher menschlicher Temperamente und kulturhistorischer Gegebenheiten, sieht er eine alles verbindende Einheit.
„Und wenn wir dies realisieren und bemerken,
dass die Vollendung aller Schönheit Gott ist,
unser Geliebter, dann verstehen wir,
warum die Musik, die wir in der Kunst
und im gesamten Universum erleben,
göttliche Kunst genannt werden sollte.“
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