Goethe verarbeitet die kritische Neubewertung des Wortes durch die Epoche der Aufklärung in seinem Werk „Faust“:

 

„Geschrieben steht: `Im Anfang war das Wort!´ Hier stock ich schon! Wer hilft mir fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen.“

 

Eine Szene später verspottet Mephisto die Sprachgläubigkeit, indem er dem Schüler ironisch rät:

 

„Im ganzen haltet Euch an Worte! Dann geht Ihr durch die sich`re Pforte zum Tempel der Gewissheit ein. […] Mit Worten lässt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten, an Worte lässt sich trefflich glauben, von einem Wort lässt sich kein Jota rauben.“ 

(Goethe, Faust I, V)

 

Doch in einem Brief vom März 1816 bekennt Goethe immerhin, die Sprache sei das Organ gewesen, wodurch er sich während seines Lebens am meisten und liebsten den Mitlebenden mitgeteilt habe. Aber er hätte müssen

 

„auf´s deutlichste begreifen lernen, dass die Sprache nur ein Surrogat sei.“

 

„Wir mögen das was uns innerlich beschäftigt oder das was uns von außen anregt ausdrücken wollen. Auf meinem Wege bin ich diese Unzulänglichkeit der Sprache nur allzu oft gewahr worden und habe mich dadurch abhalten lassen, das zu sagen was ich hätte sagen können und sollen.“

 

Immerhin ahnt auch Goethe den verborgenen inneren, geistigen Wert des Wortes, was in seiner Äußerung deutlich wird:

 

„Anatomieren magst du die Sprache, doch nur ihren Kadaver. Geist und Leben entschlüpft flüchtig dem groben Skalpell.“

 

Die Sprache ist ein Mysterium, das mit zunehmender Reife des Sprechenden oder Hörenden immer tiefer verständlich wird. Darum sind es gerade die Dichter aller Sprachen und Kulturen der Menschheit, die auf den Klang des Wortes lauschend, die Silben entziffern und Empfindung für den Takt des Sprachrhythmus entwickeln. Dass das Wort lebt, zeigt sich nicht nur in der genialen Wandlungsfähigkeit der Sprache, mit der sie in ständiger Veränderung jahrtausendelang ihren inneren, ursprachlichen Wesenskern in allen so unterschiedlich scheinenden Sprachen der Welt erhalten hat, sondern auch, weil alle Elemente der Sprache verschiedene Deutungsebenen und einen mehrfachen Sinn haben.

 

 

Der vielfache Wortsinn

 

Ganz abgesehen von der Unbewusstheit, in der wir mit unserer Rede zahllose Urlaute des geistigen Schöpfungswortes aneinander reihen und als Schwingungen in den Äther des Raumes senden, kaum ihre Wirkung und Resonanz erahnend, verhüllen sich uns meistens auch die im folgenden beschriebenen Bedeutungen des Wortes, die gleichwohl in jedem Satz wirkend gegenwärtig sind.

 

I.        Der willkürliche Wortsinn:

 

Bei diesem Phänomen wird das Gehörte von dem Hörer umgedeutet: Er hört, was er hören will und was ihn in seinen Grundauffassungen bestätigt.

 

 

II.      Der Bi-polare Wortsinn:

 

Jedes Wort trägt die Polarität der Gegensätze in sich, da es mit jedem zum Ausdruck gebrachten positiven oder negativen Sinn, auch die Existenz des Gegenteils ausdrückt, weshalb man zugleich mit dem, was man sagt, ungleich viel mehr ausdrückt, was man nicht sagt.

 

 

III.    Der dreifache Wortsinn:

 

Desweiteren trägt jedes (inspirierte) Wort eine Dreideutigkeit in sich, die sich erstens in einem äußerlichen, materiellen Weltsinn; zweitens in einem höheren seelischen Entsprechungssinn; und drittens in einem tieferen geistigen Sinn des Wortes ausdrückt (der dem Redner zumeist selber unbewusst ist).

 

 

IV. Der vierfache Wortsinn:

 

Die moderne Kommunikationstheorie unterscheidet bei jeder Mitteilung, und sei sie scheinbar noch so belanglos, die gleichzeitige Vermittlung von vier Informationen:

 

1. »Sachinhalt« 

(Die vordergründige Absicht der Information);

2. »Selbstoffenbarung« 

(Mit jeder Information gibt der Informant etwas von sich selber kund);

3. »Beziehung« 

(Mit der Art der Formulierung der Information drückt der Informant gleichzeitig aus, was er von dem Adressaten hält und wie sie zueinander stehen);

4. »Appell« 

(Wozu der Informant den Adressaten veranlassen möchte).

 

 

Weil also ein und dieselbe Nachricht vier Botschaften gleichzeitig enthält, spricht der Entwickler dieser Theorie, Friedemann Schulz von Thun, von einem »Empfang mit vier Ohren«:

 

1.   Das »Sach-Ohr« 

      („Wie ist der Sachverhalt zu verstehen ?“);

 

2.   das »Selbstoffenbarungs-Ohr« 

      („Wer ist der Sprechende ?“);

 

3.   das »Beziehungs- Ohr« 

      („Wie sieht er mich ?“)

 

4.   und das »Appell-Ohr«

      („Was will er von mir ?“)

 

 

 

 

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