Die Welt der Musik

Dem – durch die modernen Medien heute wie nie zuvor voranschreitenden – globalen Kulturaustausch kommt bei der Entstehung eines weltweiten Dialoges eine besondere Bedeutung zu. Die `Weltmusik´ als Botschafterin öffnet die Ohren für die Musik anderer Kulturen und damit für die Menschen anderer Kulturen. Begünstigt durch die technische Entwicklung der letzten 100 Jahre (ein Augenaufschlag in der Menschheitsgeschichte), schrumpfte die scheinbar unendliche Weite der Erde im Bewusstsein der meisten Menschen zu einem überschaubaren Globus. Die Musik, als zwar subtiler aber umso wirkungsvollerer Schwingungsträger, war schon immer der mächtigste Ambassadeur unter den Kulturen, wie das Beispiel des Kulturaustauschs entlang der Seidenstrasse über die Jahrtausende zeigt. Die Händler tauschten nicht nur Waren, sondern vor allem auch Musik, als die umkleidete Formel von harmonikalen Gesetzmäßigkeiten, mathematischem Wissen und Philosophie ihrer Kulturen. Mit den Kriegern einer `Kulturnation´ kamen deren Musiker – und nicht selten kam es vor, dass die Musik der Eroberten stärker war als die der Eroberer. Die Qualität, bzw. Kraft einer Musik definiert sich durch den Grad der Überlieferungstreue und Reinerhaltung gewisser, der Kultur eigentümlichen Prinzipien der Sphärenharmonie.So hat also der interkulturelle Austausch, der besonders in der sich fortwährend weiterentwickelnden `Weltmusik´ hörbar wird, eine Bewusstseinsprozesse einleitende und vorbildende Funktion für die Entwicklung einer harmonischeren `Weltkultur´. Denn wie in den verschiedenen Sprachen der Völker jeweils sehr spezielle Eigenschaften der einstigen Ursprache bewahrt blieben, so erhielten sich in den verschiedenen Musiktraditionen der Welt bestimmte Eigenarten und harmonikale Gesetzmäßigkeiten der – aller irdischen Musik zugrunde liegenden – kosmischen Harmonien der Sphären. Man kann auch sagen: Musik sei die Sprache des Herzens.

Vor etwa 30.000 bis 10.000 Jahren: An den Lagerfeuern und in den faszinierenden Klangräumen der Höhlen von Feuerland bis Sibirien, kamen an den heiligen Orten der Zeremonien der Gottesanbetung Menschen zusammen, um zu singen, trommeln oder auf Rohren zu blasen, ehe sie später kompliziertere Instrumente bauten für ihr erhebendes Spiel.Wer zählte die millionen Jahre, die das biologische Leben nach weisem göttlichen Plan den Humus des Gartens Erde bildete, bis die biologische Komplexität der ersten menschartigen Tiere zur Aufnahme des Gottesgeistes bereitet war?! Ob sechs Tage oder sechs millionen Jahre – vor Gott ist es gleich.Jedenfalls hatten, lange bevor der Mensch als göttliche Geistesgabe zugleich mit der Sprache sein göttliches Wesen erfuhr, schon jene „Voradamiten“ an den Höhlenfeuern die Rhythmik ihres Herzschlages auf Trommeln geschlagen, auf Knochenflöten die Rufe der Vögel nachgeahmt und einer über einen Bogen gespannten Sehne durch rhythmische Stockschläge seltsame Klänge entlockt, die von etwas Großem kündeten. Doch wie die Nachtigall, die wunderbar in reinen Quinten singt, nicht weiß, warum sie dies so tut, hatten jene Vormenschen keine Vorstellung von den Gesetzmäßigkeiten der Harmonien.Dann – nach hunderttausenden von Jahren, in denen kaum mehr als dieses geschah – fand in der Menschheitsgeschichte jener Quantensprung des Bewusstseins statt, der den Tiermenschen zum Geistmenschen machte. Jener Augenblick, der so trefflich in der Genesis und in vielen Kulturen ähnlich beschrieben wird: Als Gott dem Menschen, den Er aus Erde geformt hatte, Seinen Atem einblies. Er begabte ihn mit Sprache und lehrte ihn die Sternenweisheit und die Harmonien der Sphären. Von da an erbaute und zerstörte der Mensch eine Hochkultur nach der anderen – bis auf den heutigen Tag.

Der Ursprung der Musik ist gleichermaßen in der hebräischen Tora wie im alten Testament der christlichen Bibel beschrieben: „Und Kain erkannte sein Weib; die ward schwanger und gebar den Henoch. Und er baute eine Stadt, die nannte er nach seines Sohnes Namen Henoch. (= Die Weltstadt der ersten, in der Sintflut untergegangenen Hochkultur). Henoch aber zeugte Irad, Irad zeugte Mehujaël, Mehujaël zeugte Metuschaël, Metuschaël zeugte Lamech. Lamech aber nahm zwei Frauen, eine hieß Ada, die andere Zilla. Und Ada gebar Jabal; von dem sind hergekommen, die in Zelten wohnen und Vieh halten. Und sein Bruder hieß Jubal; von dem sind hergekommen alle Zither- und Flötenspieler.“(1.Mose 4,17) Bevor Jubal die erste Flöte ersann, in deren Atemlauten den Hörenden die Sphären erklangen, sang man. Denn der Gesang war dem geistigen Menschen von Anbeginn zugleich mit der Sprache gegeben. Es ist dieses Instrument noch heute jenes, das uns am nächsten ist – nicht nur, weil wir es immer bei uns haben (und es leichter zu tragen ist, als beispielsweise ein Cello oder ein Klavier) – sondern weil es uns selber zum schwingenden Resonanzraum macht. Im Spiel dieses Instrumentes der menschlichen Stimme atmet die Seele im Singenden die harmonikale Ordnung des Alls.Das, wovon die ersten Sänger sangen, kam ihnen direkt aus dem Herz. Denn lange vor der modernen „Fast-Food-Kultur“ schnelllebiger Hits machte man nur Erhabenes zum Lied, weil man vom Wert einfacher, aber guter Nahrung für das innere Wesen wusste. Den Vormüttern und Vorvätern der heutigen Zivilisation war ihr Lied Gotteslob und Dank. Denn die Musik der frühen geistbegabten Menschen war gleichzeitig Gebet und ein bewusstes in Einklang bringen der eigenen Schwingung mit denen der Natur, der Sphären und mit dem großen Erzeuger allen Klangs.Der spätere Bau von Musikinstrumenten war kein bloßes Handwerk, sondern weltanschauliche Philosophie – und deren Einstimmen Meditation, in der man nach innen lauschend, den gehörten Klang auf das Instrument übertrug. Für die frühen Hochkulturen gibt es verlässliche Belege über Musikinstrumente und Musikverständnis. Auf die vedische Schwingungslehre der alten Inder wird an anderen Stellen näher einzugehen sein. Auch die alten Schriften der Hebräer enthalten viele Hinweise auf die ursprünglich rituelle Bedeutung der Musik: „David und die Feldhauptleute sonderten aus zum Dienst die Söhne Asafs, Hemans und Jedutuns, prophetische Männer, die auf Harfen, Psaltern und Zimbeln spielen sollten.“ (2 Chr 5,12) Nicht Irgendjemand also durfte die Musik machen, sondern „prophetische Männer“, durch die der Geist Gottes sprach. „Lobet Ihn mit Posaunen, lobet Ihn mit Psalter und Harfen! Lobet Ihn mit Pauken und Reigen, lobet Ihn mit Saiten und Pfeifen! Lobet Ihn mit hellen Zimbeln, lobet Ihn mit klingenden Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den HERRN!“ (Ps 150,1) Das taten sie dann auch – und zwar auf eine Weise, dass „das Haus Gottes (der Tempel des menschlichen Körpers) erfüllt wurde von der Schechina (dem Lichtglanz der Herrlichkeit Gottes): „so dass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Schechina; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.“ (2 Chr 5,13)In Babylon hingegen, dem heutigen Irak, wurden die heiligen Instrumente zur Götzenanbetung entfremdet. Dort ließ der König Nebukadnezar (Ne bouche kadne zar = keiner ist Gott außer mir) sich selbst anbeten. Er ließ ein Bild aufstellen, vor dem alle nieder zu fallen hätten, wenn die Instrumente erklingen würden. „Und der Herold rief laut: Es wird euch befohlen, ihr Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen: Wenn ihr hören werdet den Schall der Posaunen, Trompeten, Harfen, Zithern, Flöten, Lauten und aller andern Instrumente, dann sollt ihr niederfallen und das goldene Bild anbeten, das der König Nebukadnezar hat aufrichten lassen.“ (Daniel 3,4)

Während der griechischen Antike wurden bevorzugt Saiteninstrumente gespielt, die dem Gott Apollon verehrt waren. Musik war nur nachrangig das Medium edler und gesitteter Unterhaltung. Sie diente vor allem auch der Erziehung und Bildung. Platon (427-347 v. Chr.) erklärt den Grund so: ”Darum ist die Musik der wichtigste Teil der Erziehung. Rhythmus und Töne dringen am tiefsten in die Seele und erschüttern sie am gewaltigsten. Sie machen bei richtiger Erziehung den Menschen gut, anderenfalls schlecht.“ Und Cicero (106 bis 43 v. Chr.) berichtet: ”Höchste Bildung lag nach dem Urteil der Griechen in der Beherrschung des Saitenspiels und Gesanges (…) alle suchten Musik zu lernen, und niemand galt für recht gebildet, der sich nicht auf sie verstand.“Im europäischen Mittelalter galt schon vor der Etablierung der Universitäten im 12. Jahrhundert unter den vier Fächern des Quadriviums (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musiktheorie) die Musik als die vornehmste Wissenschaft – nicht zuletzt auch wegen ihrer Bedeutung für die liturgischen Gesänge der gottesdienstlichen Zeremonien.      Andere Musikkulturen kommen ohne die zweifellos geniale Anpassung der Tonarten durch Johann Sebastian Bach („Das Wohltemperirte Clavier“) aus. Sie entwickelten und überlieferten andere Formen der Musik als im Abendland. So gibt es neben dem dominanten westlichen 12 Tonsystem in mancher Hinsicht wesentlich umfänglichere Tonsysteme:  29er, 41er, 53er … bishin zum mathematisch reinsten 665er Tonsystem. Ohne die eigenen Skalen dieser Systeme wäre die Musik dieser Kulturen nicht denkbar. Viele authentische und charakterlich besondere Formen des jeweiligen Musiksystems kommen in der europäischen Musik nicht vor, und bleiben den `geglätteten´ Hörgewohnheiten der abendländischen Ohren oftmals fremd.Doch heutzutage sind viele traditionelle Musikkulturen durch die Dominanz eines alles überlärmenden Tongefühls westlicher `Wohltemperiertheit´, das aus abermillionen Lautsprechern flutet, vom unerhörten Vergessenwerden bedroht, wie viele Pflanzen- und Tiergattungen vom Aussterben. Hier soll ihrer gedacht werden, denn das Verständnis ihrer Musik ist eng verbunden mit dem Verständnis der Welt und mit dem Verständnis des Menschen selbst.

     Auf einer Reise zu geographisch oder zeitlich fernen Kontinenten der Musik können wir Erhebendes hören, das die Entwicklung einer `neuen´ Weltmusik zu bereichern vermag.Schauen wir nach Osten, wo zum Beispiel das orientalische, das indische und das chinesische Musiksystem hörbar Zeugnis ablegen, für einen Jahrtausende ins Vergessen geratenen gemeinsamen Ursprung der Kulturen.Schon auf dem Balkan begegnen dem abendländischen Hörer ungewohnte Rhythmen und Tonarten, die sich dort als harmonikale Muster im kulturellen Gedächtnis der Völker erhalten haben. Es klingt manchmal wie eine Adaption von frühmittelalterlicher Kirchenmusik und orientalischen Arabesken. Tatsächlich finden wir hier eine uralte klanggewordene Brücke zwischen dem westlichen Abendland und dem östlichem Morgenland. Und so entsprechen im `Horoskop der Musik der Welt´ die Musiken des Morgen- und Abendlandes denn auch dem Aszendenten und dem Deszendenten – der Stimmung des Morgens- und der des Abends.

Die orientalische Musik des Morgenlandes:     Am Bosporus, der geographischen `Brücke´ zwischen Asien und Europa, öffnet sich dem Hörer bereits die wunderbare und vielgestaltige `östliche Klangwelt´.Das moderne türkische Musiksystem basiert auf dem Arel-Ezgi-Tonsystem, das Hüseyin Sadeddin Arel (1880-1955) und Mehmed Subhi Ezgi (1869-1962) als „Retter“ der nur mündlich überlieferten und fast schon vergessenen, türkisch-arabischen Musiktradition, als Musiktheorie begründet haben.Demnach ist der Ton Cargah (=Tschargah, persisch) dem Grundton vergleichbar, auf den 11 Quinten und 12 Quarten zu den 24 Tonstufen der Türk Musikisi aufbauen. Nur drei Intervalle gelten als anwendbar: Tiz Cargah (Oktave = 2/1); Rast (Quinte = 3/2); Acem Asiran (Quarte = 4/3).Innerhalb einer Oktave, die als heptatonische (7er) Skala trotz aller Unterschiede, der westlichen Oktave verwandt ist, gibt es durch die Vierteltonteilung allerdings 24 Stufen. Denn während in der westlichen Musik ganze und Halbtonschritte üblich sind, zeichnet sich die türkisch-orientalische Musik durch die Einbeziehung von Vierteltonschritten aus. Darin liegt vielleicht der Reichtum an ornamentaler Melodik der türkisch-arabischen Musik begründet, die sich in formelhaften Strukturmodellen ausdrückt, die Maqamat (singular: Maqam) genannt werden.Im Unterschied zum westlichen Rhythmus, der in der Regel auf 4 Takten basiert, eröffnen sich in der östlichen Musik sehr viel komplexere Rhythmen, die in periodischen Reihungen oft 48 Taktschläge mit betonten und unbetonten Taktteilen und Pausen hat. Diese Rhythmen (Usl) können aber auch mehr als 100 unterschiedlich akzentuierte Schläge zählen, deren Betonungs-Muster im Aufbau des Musikstückes variiert.Wenngleich sich die türkisch-arabische – wie alle Musik – auch in stetem Wandel befindet, erhielten sich diese charakterlichen Eigenschaften doch über Jahrtausende.      Die Türken betrachten sich gewissermaßen als die Erfinder dieser Musik und sie haben im Verlauf des osmanisch-türkischen Reiches auch viel zur Verbreitung dieser Musikkultur in der Welt beigetragen, (wodurch allerdings auch die Musik manch einer eroberten Kultur (wie z.B. die byzantinische) ins Vergessen sank. Tatsächlich aber sind (analog zur Entwicklung des Sprachenbaums der Menschheit) in der türkisch-orientalischen Musik die Einflüsse ägyptischer, babylonischer, indo-persischer, und griechischer Traditionen nachvollziehbar.Die Erforschung des Umfangs der gegenseitigen Beeinflussung und Bereicherung der Kulturen (z.B. über die Seidenstraße) ist ein interessantes Feld aufschlussreicher Entdeckungen.Der Musiker Rauf Yekta Bey (1871-1935) nannte die Maqamat nicht „Türk Musikisi“, sondern „Sark Musikisi“ (=Musik des Orients). Auch weist er darauf hin, dass die Türken die Einteilung einer Oktave zu 24 ungleichen Intervallen von den antiken Griechen übernahmen. (Rauf Yekta Bey, „Die Geschichte der Musik des Orients“)Auch im orientalischen Tonsystem beruhen alle musik-mathematischen Berechnungen auf der pythagoräischen Teilung des Monochords, wenn auch die harmonikale Teilung der Saiten der arabischen Laute ‘Du´ (Oud = „biegsamer Stab”), deren vier Doppelsaiten die vier Elemente symbolisieren, zu speziellen philosophischen Interpretationen führte. Auf dem Griffbrett der Oud entschlüsseln sich dem Meister dieses Instruments die Mondphasen, die Himmelsrichtungen, die Jahreszeiten, die Zahl der Wochen in einem Monat, die Einteilungen des Tages, des menschlichen Körpers und seiner Lebensphasen.Die Mutter der Saiteninstrumente allerdings, wie chinesische Quellen bezeugen, soll das älteste Instrument der Türken sein, welches damals `Pi-Pa´ oder `Hypu´ hieß und später `Kopuz´ genannt wurde. Zum Erlernen dieses Instruments vermittelte der Meister dem Schüler auch die Theorie des erforderlichen Verhaltens als Musiker und der Stimmung in sich selbst: Umfang, Volumen und Timbre der Stimme des Instrumentes sollen im Einklang stehen mit der vorherrschenden Stimmung, den geographischen, astronomischen und atmosphärischen Bedingungen, sowie den Tagen, Jahreszeiten, Elementen, Winden und Temperaturen.      Der Islam hat ein zwiegespaltenes Verhältnis zur Musik. Für viele dogmatische Moslems ist sie Teufelswerk (siehe die Taliban in Afghanistan, die gleich nach ihrer Machtübernahme die wunderbare afghanische Musik verboten hatten, als mit deren Unterdrückung die „Zeit der Traurigkeit“ begann). Sie fürchten magische Kräfte in der Musik, die der Religion entgegen wirken würden. Essad Bey (1905-1942) schreibt in seinem Buch „Mohammed“: „Der Prophet Mohammed missbilligte das übermäßige Essen und Trinken ebenso wie das Singen und verbot kategorisch Tanzen, Musizieren, Malen und Bildhauen.“Gegen das islamische Musikverbot wehren sich allerdings bis heute (erfolgreich) die Sufis – eine asketisch-mystische Richtung des Islam. Der Sufi Al Darani (gest. 820) argumentierte: „Musik ruft nichts im Herzen hervor, was nicht schon darin wäre!”Die Moslems der traditionellen Schule betrachten die Sufis mit Skepsis. Ihnen ist ihr Gott zu erhaben und der Mensch zu unbedeutend, als dass sie sich eine Annäherung an das höchste Wesen durch Musik denken können. Dem entgegnet der Sufi Hazrat Inayat Khan zu Beginn des 20.Jahrhunderts: „Und wenn wir dies realisieren und bemerken, dass die Vollendung aller Schönheit Gott ist, unser Geliebter, dann verstehen wir, warum die Musik, die wir in der Kunst und im gesamten Universum erleben, göttliche Kunst genannt werden sollte.“Hazrat Inayat Khan wurde 1882 in Indien geboren. Sein Weltbild ist geprägt von Freundlichkeit, Toleranz und der Verehrung aller Meister, Heiligen und Propheten der Menschheit und dem Respekt gegenüber der Vielfalt der religiösen Lebensäußerungen überall auf dem Planeten Erde. Hinter dem Ausdruck der Vielfalt unterschiedlicher menschlicher Temperamente und kultur-historischer Gegebenheiten, sieht er eine alles verbindende Einheit.„Die Sufi-Botschaft bringt kein neues Gesetz, sie erweckt in der Menschheit den Geist der Brüderlichkeit, welche einhergeht mit der Toleranz eines jeden gegenüber der Religion der anderen und mit der allseitigen Bereitschaft, die Fehler der anderen zu vergeben. Sie lehrt Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme, damit ein Leben in Harmonie geschaffen und erhalten werden kann; sie lehrt auch, zu dienen und sich wahrhaftig nützlich zu machen. Dann wird unser Leben auf der Erde Früchte bringen und uns in unserer Seele zutiefst befriedigen.“  (Hazrat Inayat Khan)

Die indische Musik des Morgenlandes:      Der weltmusikalischen Bedeutung des indischen Sub-kontinents in seiner Nord/Süd-Teilung inhaltlich Genüge zu tun, würde der Rahmen dieses Buches nicht fassen. Darum sei bei diesem kurzen Überflug über die östlichen Kontinente der Musik nur am Rande auf die jahrtausendelange Überlieferung der rhythmischen Perfektion hingewiesen, die als geheimes Wissen von den Rhythmen der Erde und des Universums von Meister zu Schüler fast wortgetreu weiter gegeben wurden bis auf den heutigen Tag. Dass die indische Musik für die Harmonie der Welt ebenso bedeutsam ist, wie das Sanskrit, als eine der ältesten Sprachwurzeln der Menschheit, für die Rückerinnerung an die verlorene Ursprache, wird noch an anderer Stelle deutlich werden.

Die Musik im `Land der Mitte´:      Die chinesische Musikkultur soll um die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. unter dem Einfluss älterer Kulturzentren Zentralasiens entstanden sein (siehe `Jubal´). Auch in der Vokal- und Instrumentalmusik Chinas ist hinsichtlich Melodie, Klangfarbe und richtiger Modulation der einzelnen Töne ein einzigartiges Wissen bewahrt, das der sich lebendig entwickelnden Weltmusik wichtige Impulse gibt. Auch zur Spiritualität der chinesischen Kultur gehört das Bewusstsein, dass der Klang als Abbild der Harmonie und Ordnung des Universums, mit dem Kosmos in Verbindung steht. Nach den Lehren des Philosophen Konfuzius (551-479 v.Chr.), der die Musikkultur Chinas seit rund 2500 Jahren prägt, gilt die vollendete Musik als Mittel, die Verbindung der Gemeinschaft mit der kosmischen Harmonie herzustellen. Diese Wertschätzung der Musik spiegelt sich in vielen alten chinesischen Weisheitslehren wider. Früheste Hinweise auf eine musikalische Lehre sind seit Erfindung der chinesischen Schrift (ca. 3000 v. Chr.) durch zahlreiche Zeugnisse überliefert.Die chinesische diente wie die frühe indo-europäische Musik kultisch religiösen oder staatlichen Zwecken. Es wurde nur solche Musik zugelassen, die den Anlässen angemessen war, (Götterverehrung) – oder dem Staatswesen (zur Stabilisierung des Herrschaftssystems) förderlich sei. Die konfuzianische Schule (5. Jh. v. Chr.) unterscheidet deshalb eine gute Musik (De-yin = „Musik mit Gehorsam“) von einer schlechten Musik (Jian-yin = „Musik mit Ungehorsam“).So wurde in allen alten Kulturen, aber insbesondere in Indien und China der Wertbegriff der Kunst nach ihrer Wirkung auf die menschliche Seele gemessen.Musik hatte eine enorme Bedeutung im spirituellen, ethischen, sozialen und therapeutisch-medizinischen Bereich, und war ein wesentlicher Faktor der chinesischen Kulturentwicklung.Die Schule der ursprünglichen chinesischen Musik weiß um die energetischen Zusammenhänge (Feng Shui) insbesondere auch in ihrer schwingungstechnischen Dimension des Klanges.Ebenso bietet das chinesische I Ging zum Verständnis der Polaritäten Dur und Moll (Yang und Yin) und die Verhältnisse der Zahlen in ihren weltenerschaffenden Proportionen einen einzigartigen Blick in die harmonikalen Gesetzmäßigkeiten der kosmischen Sphärenharmonie nach göttlicher Notenschrift.Der erste der fünf mythischen Kaiser, Fu Hsi (etwa um 2850 v. Chr.), gilt als Begründer des I Ging und zugleich als „Erfinder“ der Musik.Huang-Chung (= der `Ton der gelben Glocke´) galt als Grundschwingung des Reiches. Nur ein Pfeifenrohr mit einer bestimmten Länge und einem definierten Volumen konnte ihn erzeugen. Dessen Länge und Durchmesser war Grundlage der chinesischen Maße: seine Kapazität war das Maß des Raumes – und die Anzahl von Reiskörnern, die hineinpassten, galt als Grundlage sämtlicher Gewichte. Die Verbindung von Maß und Musik war im alten China so eng, dass die kaiserlichen Ministerien für Musik zugleich für Gewichte und Maße zuständig waren.      Die Lehre von der kosmischen Lebenskraft Chi, dem Prinzip von Yang und Yin und den fünf Elementen entwickelte sich in der Zhou Dynastie (1066-256 v.Chr.) zu einem effektiven musiktherapeutischen System. Erst seit relativ kurzer Zeit entdecken chinesische Mediziner und Künstler in den alten Überlieferungen die Kraft dieser `Schwingungslehre´ wieder, die zunehmend auch durch die westliche Medizin für die Heilung von Körper, Seele und Geist eingesetzt wird.Eine wie viel schonendere Behandlung – statt mit „chemischer Keule“ – wäre die Rückbesinnung auf die richtige Intonation der Heilklänge?!“Die Prinzipien der richtigen Lehren sind alle in den Tönen der Musik zu finden. Wenn die Töne richtig sind, ist das Betragen der Menschen richtig. Klänge und Musik bewegen und erregen die Arterien und Venen, kreisen durch die Lebensessenzen und verleihen dem Herzen Harmonie und Rechtschaffenheit.So bewegt die Note Kung die Milz und bringt den Menschen in Harmonie mit vollkommener Heiligkeit. Die Note Shang bewegt die Lungen und bringt den Menschen in Harmonie mit vollkommener Gerechtigkeit.Die Note Kio bewirkt die Leber und bringt den Menschen in Harmonie mit vollkommener Güte. Die Note Chi bewegt das Herz und bringt den Menschen in Harmonie mit vollkommenen Riten. Die Note Yü bewegt die Nieren und bringt den Menschen in Harmonie mit vollkommener Weisheit.“ (Su-Ma-Tsien, etwa 2000 v.Chr.)

     So könnte ein musikalischer Ausflug in die Kulturen der Welt sehr unterhaltsam werden. Doch soviel gibt es über die Kontinente der Musik zu sagen, dass es kein Buch fassen kann – zumal Musik sich nicht beschreiben lässt. Musik sollte man hören – oder besser noch – machen. Dann offenbart sie sich – jedem auf seine Weise – mehr als tausend Beschreibungen zu erklären vermögen.Auch entzieht sich dem modernen populärmusikgewohntem Ohr oft der Sinn für die Musik anderer Kulturen.

      Das abendländische oder westliche Musiksystem des Quintenzirkels kann also keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. In der übrigen Welt gibt es andere Musiksysteme. Die westliche tonale Musik jedoch prägt der  Quintenzirkel durch seine ihm eigenen Tonartenwechsel, die – verglichen mit der grundtonbezogenen modalen Musik anderer Kulturen – sich vielleicht am ehesten als `verstandesmäßig´ charakterisieren lassen.Wenn dieser Bach`sche `Kunstgriff´ der Temperierung in den letzten Jahrhunderten immerhin dazu führte, dass die Musik aus den bis dahin vorherrschenden sakralen und fürstlichen Kammermusik-Räumen „unter`s Volk“ kam und eine allgemeinere Kultivierung zur Folge hatte, so sind bei all den wunderbaren Werken, die in dieser Stimmung komponiert wurden, dennoch auch gewisse Nachteile zu beklagen.Zwar bewirkt dieser Kompromiss eine Vereinfachung der komplexen Ton-Beziehungen als „Begradigung“ der Reibungen natürlicher Intervalle, allerdings ist diese Reduktion auch eine Beschränkung der spielbaren Töne und damit eine künstliche Einengung der harmonikalen Schwingungs-Wirklichkeit.Am Umstand, dass die europäische Musik, statt sich wie früher üblich in vielen Skalen zu bewegen, nun auf nur noch zwei Tonfamilien – Dur und Moll – reduziert wurde, leidet die Kompatibilität mit den übrigen Musiksystemen der Welt.Jedenfalls wollen sich Musiker anderer Kulturkreise, die in ihrer Musik in anderen Skalen „zu Hause“ sind, im Zusammenspiel kaum in das Dur- und Moll-Schema des Abendlandes pressen lassen.  Allein in der indischen Raga- und orientalischen Maqam-Musik, existieren – jenseits von Dur und Moll – hunderte von modalen Skalen.Weil eine bewusstseinsbeeinflussende und kulturprägende Wirkung der Musik – auch in ihrer musikpädagogischen Relevanz – kaum bezweifelt werden kann, hat diese Polarisierung der Klangvielfalt in Dur und Moll im gesellschaftlichen Spiegel des abendländische Bewusstseins Spuren hinterlassen.So mag die Inkompatibilität der musikalischen Systeme der Welt als Bild genommen werden für die Schwierigkeiten und Chancen einer globalen Verständigung.      Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist mit dem irdischen Tönen seiner Welt noch weit vom Einklang mit den „Harmonien der Sphären“ entfernt – jenem sagenhaften kosmischen Urklingen, das auch in ihm selber resoniert, wollte er`s nur hören.Der Klang der Welt ist dissonant. Auf vielen Wellenlängen senden zahllose Radio- und Fernsehsender `Sound-Müll´ ins All, der sich außerirdischen Radioteleskopen (wenn es sie tatsächlich gäbe) bereits über Lichtjahre hinaus, als Störgeräusch bemerkbar machen müsste. Milliardenfache Motorengeräusche des technisierten Zeitalters überlärmen die leisen Töne der Natur und berauben Mensch und Tier der Stille und der Fähigkeit auf leiseres Klingen und Schwingen zu hören. So wenig die Menschheit und der Einzelne sich im Einklang mit sich selber befindet, so fern sind sie der innerlichen und sphärischen Euphonie.Der technologische Fortschritt der Klangaufzeichnung und die Konservierung von Musik – bis hin zur digitalen Beschneidung der Ober- und Untertöne zugunsten einer komprimierten Speicherung auf MP3-Playern und Datenträgern, förderte die Qualität der Musik nicht – sondern im Gegenteil – vielmehr eine massenmediale Kommerzialisierung, die zunehmend zu einer kulturellen Gleichschaltung der Welt führt. Die jederzeitige Verfügbarkeit der Ware Musik fördert nicht so sehr die „Kultivierung der Massen“ – als vielmehr die „Vermassung der Kultur“. Viele sind vom „kulturellen Fastfood“ so pappsatt, dass sie keinen Hunger mehr auf wertvollere Nahrung haben.Die alte Herausforderung bei der Erlernung eines Instruments –  die Beherrschung über sich selber zu erlangen – spielt nur bei wenigen noch eine charakterbildende Rolle, weil es mittels moderner elektronischer Instrumente heutzutage leicht geworden ist, ohne jede Übung oder musikalische Vorbildung synthetisch symphonische Klänge oder automatische Rhythmen zu erzeugen. Dieser kann zur Inflation des Egos führen, weil – statt bewusstseinsfördernder Erkenntnis der harmonikalen Gesetzmäßigkeiten der Musik – schon ein Fingerdruck genügt, um ein ganzes Orchester gesampelt zum Erklingen zu bringen.      Wie das geistige Wort der Ursprache eines einstmals „ganzheitlichen Bewusstseins“, ging das Wissen um die kosmische Kraft des Klanges also weitgehend verloren.Es erhielt sich, seit der babylonischen Sprachverwirrung, nur bruchstückhaft in den kulturellen Eigenarten der Völker.Der Verlust dieser kulturellen Eigenarten, wie die Sprache eines Volkes oder der Musik einer Kultur, ist für die Menschheit ein ebenso großer Verlust, wie das Verlöschen genetischer Informationen aussterbender Tier- oder Pflanzenarten, als wichtige Glieder der Biosphäre. Denn das einstige Urwissen um die musikalischen Gesetze des Sphärenklangs, (das die ersten geistigen Menschen dereinst mit der Sprache als Geistesgabe Gottes überkam), ist in seinen verschiedenen Elementen im „musikalischen Erbgut“ der Menschheitskulturen bewahrt. Jede Kultur hat in ihrer Art zu hören und Musik zu machen eine Eigenart der ganzheitlichen Harmonie bewahrt. Ihr Untergang nimmt unwiederbringlich dieses Stück Erinnerung mit sich – und macht die Weltkultur ein Stück ärmer. Die in Vergessenheit geratenden Kulturen sind `aurische Löcher´ im Bewusstsein des globalen Menschen.Die Erinnerung an die Musik der ausgestorbenen Ureinwohner dieser Welt – und die Bewahrung der Kulturen der letzten indigenen Völker dieser Welt – würde dem Menschen mehr als ein urzeitlicher Schädel über seinen Ursprung vermitteln. Mehr als ein Kulturverständnis aus den Scherben der Antike zusammenzusetzen, wird uns das Erleben der Polyrhythmen Afrikas ein tieferes Verstehen von uns schenken.

     Der kulturkritisch beklagte Mangel des zunehmenden Verlustes einer harmonikalen Musikauffassung geht einher mit zunehmendem Materialismus und psychischer Desorientierung in der Welt. Tatsächlich ist Musik mehr, als lediglich ein akustisches Phänomen oder bloße Unterhaltung, sondern vielmehr ein existentielles Nahrungsmittel für Seele und Geist. Warum die Musik so grundlegend wichtig für das Menschsein ist? Weil sie unser Wesen nicht nur anspricht und berührt (in Schwingung versetzt), sondern weil die Gesetze der Harmonik unser eigentliches Wesen sind. Die „Harmonik“ ist jene interdisziplinäre Schwingungswissenschaft, aus der sich  alle Wissenschaften erklären. Lassen Sie uns dem Phänomen des Rhythmus – als ebenfalls harmonikaler Schwingungsteil unseres Wesens – nachspüren. Im rhythmischen Kreisen der Planeten um ihre Sonnen, in den zyklischen Bahnen der Neutronen um ihren Kern in jedem Atom – und im pulsierenden Schlagen unserer Herzen werden wir uns finden.

 

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